Katrin Ring berichtet, wie Long Covid ihr Leben verändert hat
Nur Kraft für zehn Minuten und ein Brot
BillErbeck
Auf dem Wohnzimmertisch steht ein bunter Tulpenstrauß. „Den hat meine Freundin mir gebracht“, sagt Katrin Ring. Eigentlich wollte die Freundin ihn nur vor die Tür stellen, aber dann hat Katrin Ring sie doch kurz hereingebeten. Zehn Minuten. Mehr schafft Ring nicht. „Und dann erlebe ich es auch als ein Zeichen großer Freundschaft, wenn jemand nach zehn Minuten wieder geht“, sagt sie und lächelt traurig. An guten Tagen kann sie ihren Kindern Frühstück machen, dann noch einkaufen und sogar noch kochen. Und an schlechten Tagen? „Dann schaffe ich es nicht mal ein Brot zu schmieren.“
Katrin Ring hat Long Covid. Was das für sie bedeutet? Vor allem totale körperliche und geistige Erschöpfung. Die ausgebildete Theologin und Pfarrerin, Ehefrau von Pfarrer Thomas Ring, die zuletzt als Pädagogin am Gymnasium gearbeitet hat, kann ihren Beruf zurzeit nicht ausüben. Den häuslichen Alltag bewältigt sie nur ansatzweise. Immer wieder reicht die Kraft nicht, verschwindet die Konzentrationsfähigkeit, muss sie sich hinlegen. Keine Verabredungen, keine Veranstaltungen, kein Hobby, kein Gottesdienst, keine Kopfarbeit. „Ich war ein sehr intellektueller und strukturiert denkender Mensch. Früher habe ich mich mit hochphilosophischen Texten befasst, heute bin ich froh, wenn es für ein Kreuzworträtsel reicht. Oder für ein paar Seiten aus einem leichten Krimi.“ Natürlich sind ihre Fähigkeiten nicht weg. „Aber ich muss mir das gut einteilen“, weiß sie. „Ich muss lernen, mit meinen Ressourcen so umzugehen, dass ich unter meiner Belastungsgrenze bleibe.“ „Pacing“ heißt das in der Fachsprache. Wenn sie sich zu viel zumutet, passiert ein so genannter „Crash“, dann muss sie anschließend tagelang liegen und ausruhen. Unvorstellbar für eine 49-jährige Frau, die bis zu ihrer Krankheit die siebenköpfige Familie, Berufstätigkeit und ehrenamtliches Engagement locker managte.
„Ich erzähle meine Geschichte nicht, weil ich Mitleid will“, betont Katrin Ring gleich mehrfach im Gespräch mit unserer Zeitung, das sie mit zunehmender Dauer immer mehr Kraft kostet. Sie möchte heute, am offiziellen Long-Covid-Tag, auf die Situation und das Schicksal vieler Betroffener aufmerksam machen. 9223 Mitglieder hat allein die Facebook-Gruppe Long Covid Deutschland – eine Selbsthilfegruppe, die auch Katrin Ring für den Austausch nutzt. Als Seelsorgerin und systemische Beraterin hat sie Menschen in Grenzsituationen begleitet, das hilft ihr jetzt beim Blick auf die Betroffenen und auf sich selbst. „Die an Long Covid erkrankten Menschen ziehen sich zurück, verschwinden aus der Öffentlichkeit, weil sie an vielem nicht mehr teilnehmen können. Wir dürfen sie nicht verlieren“, sagt Ring. Mit ihrer eigenen Geschichte will sie auf diese Situation hinweisen. Und sie will in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig Forschung und medizinische Entwicklung für die Beherrschung von Long Covid sind. Sie war dreifach geimpft, als sie im Sommer 2022 erkrankte, der Verlauf war nicht besonders schwer.
Ring hatte Glück: ein verständnisvoller Hausarzt, ein schon gut informierter Facharzt, jetzt die Teilnahme an einer wissenschaftlichen Studie, Medikamente, Infusionen, Resilienz durch ihre eigene berufliche Vor-Bildung, eine starke unterstützende Familie und liebe Freunde, ein gutes soziales Netz. Symptome lassen sich lindern und Katrin Ring bemerkt, dass es ihr besser geht, als noch vor einem halben Jahr. Wie weit es wieder aufwärts gehen kann? Abwarten. „Ich wünsche mir, dass ich eines Tages den Alltag wieder normal leben kann.“
Ob es in Billerbeck andere Betroffene gibt, weiß Katrin Ring nicht. Wenn ja – eine örtliche Selbsthilfegruppe könnte sie sich vorstellen. Organisieren kann sie das aber nicht. „Dafür habe ich keine Kraft“, sagt sie.
Eine Stunde hat das Gespräch mit unserer Zeitung gedauert. Gleich wird Katrin Ring sich hinlegen müssen. Ausruhen.
| www.longcovidplattform.de (und viele weitere Online-Seiten)
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