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Gesundheitsforum lädt am Mittwoch (21.10) zum Vortrag von Matthias Borkmann in die Familienbildungsstätte

„Plaque-Entfernung effektivste Methode“

Coesfeld. Unter dem Titel Zahnfleischbluten? Wie beeinflusst das die Gesundheit insgesamt?“ bietet das „Gesundheitsforum Coesfeld“ am Mittwoch, (21.10.) ab 19 Uhr in der Familienbildungsstätte einen Vortrag von Zahnarzt Matthias Borgmann über Erkrankungen des Zahnhalteapparates und ihre Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit. Nach der neuesten Deutschen Mundgesundheitsstudie leiden über 50 Prozent der erwachsenen Bevölkerung über 35 Jahre an einer Parodontitis. Zu diesem Thema führte AZ-Redaktionsmitglied Thomas Lanfer folgendes Interview mit Matthias Borkmann.

Allgemeine Zeitung

Matthias Borkmann ist Zahnarzt und referiert im Gesundheitsforum Coesfeld über Erkrankungen des Zahnhalteaparates. Foto: az

Herr Borkmann, Zahnfleischbluten ist ein Symptom für einen Komplex von Erkrankungen. Welche einzelnen Krankheitsbilder können dafür ursächlich sein?

Matthias Borkmann: Rötung, Schwellung und Blutung sind die wichtigsten Symptome einer Entzündung. Die Blutung deutet zunächst einmal auf eine Entzündung des Zahnfleisches (= Gingiva), eine sog. Gingivitis, hin. Die Gingivitis ist eine akute oder chronische Entzündung des Zahnfleisches ohne Beteiligung des Desmodonts (Wurzelhaut) und des Alveolarknochens und ohne Zahnfleischtaschen. Die Gingivitis ist ein reversibler Zustand, d.h. er kann rückgängig gemacht werden! In der Regel ist diese Zahnfleischentzündung plaqueinduziert, d. h. durch nicht ausreichend entfernten Zahnbelag verursacht. Spätestens nach einem Zeitraum von 3 Wochen ungehinderter Ansammlung von Zahnbelag (Plaque) entsteht eine manifeste Entzündung des Zahnfleisches. Diese Entzündung kann zusätzlich durch verschiedene Einflüsse begünstigt werden. Hier spielen hormonelle Faktoren ( z.B. Pubertät, Schwangerschaft, Diabetes), Erkrankungen des Blutes (z. B. Leukämie), Arzneimittel (z.B. Antibabypille) oder auch Mangelernährung (z.B. Vit. C-Mangel (= die Seefahrerkrankheit Skorbut) eine Rolle. Natürlich gibt es auch Zahnfleischererkrankungen, die nicht durch Zahnbelag verursacht sind. Eine Vielzahl von bakteriellen, viralen und mykotischen Infektionen können sich am Zahnfleisch manifestieren. Hier sind vor allem Geschlechtskrankheiten, Herpesinfektionen und Hefepilzinfektionen zu nennen. Aber auch systemische Erkrankungen finden sich am Zahnfleisch wieder.

Viele Menschen kennen den Begriff der Parodontose, inwieweit unterscheidet sich diese Krankheit von einer Parodontitis?

Matthias Borkmann: Dies ist eine veraltete Bezeichnung für nicht entzündliche Zahnbetterkrankungen. Sie wird von Laien noch vielfach als Sammelbezeichnung für Erkrankungen des Zahnhalteapparates verwendet! Bei einer Parodontitis handelt sich um eine Entzündung des Zahnhalteapparates (Parodont) mit Zahnfleischtaschen und Knochenabbau. Die Endsilbe ….-itis hat die Bedeutung „Entzündung“.

Was sind die Ursachen für eine Parodontitis?

Matthias Borkmann: Die Parodontitis ist eine bakteriell ausgelöste chronisch-entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates. Sie wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Man muss lokale von allgemeinen Ursachen unterscheiden. Die wichtigste lokale Ursache ist die mangelhafte Mundhygiene, die zur Ansammlung bakterieller Plaque führt. Bei Belassen der bakteriellen Beläge auf den Zahnoberflächen besteht zunächst die Gingivitis. Dieser Zustand kann bei einigen Menschen über lange Zeiträume unverändert bestehen bleiben, aber in den allermeisten Fällen entwickelt sich hieraus früher oder später eine Parodontitis. Die wichtigste allgemeine Ursache ist das Rauchen. Darüber hinaus begünstigen bestimmte Risikofaktoren und Erkrankungen wie Genetik, Stress und Diabetes die Entstehung. Aber auch Adipositas (Fettleibigkeit) und falsche Ernährung tragen ihren Teil zur Entstehung einer Parodontitis bei.

Welche Folgen hat eine Parodontitis für den Zahnhalteapparat?

Matthias Borkmann: Der Zahnhalteapparat, das Parodont, besteht aus vier Geweben: der Gingiva (Zahnfleisch), dem Desmodont (Wurzelhaut), dem Wurzelzement und dem zahntragendem Teil des Kiefers (Alveolarknochen) mit den knöchernen Zahnfächern (Alveolen), die für den Halt der Zähne im Kieferknochen verantwortlich sind. Der entscheidende Unterschied zwischen einer Gingivitis (Zahnfleischentzündung) und einer Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates) ist die weitgehend irreversible Zerstörung des Zahnhalteapparates, die als Verlust bindegewebigen Attachment (Anhaftung am Zahn) und Knochenabbau festgestellt wird, infolge dessen es zum Verlust von Zähnen kommen kann. Beginn, Ausmaß und Geschwindigkeit der Zerstörung können sich von Mensch zu Mensch stark unterscheiden. Entsprechend der Geschwindigkeit der Gewebezerstörung werden 2 Formen der Parodontitis unterschieden: die chronische (häufigste Form) und die aggressive Parodontitis.

Welche Folgen kann eine unbehandelte Parodontitis auf den gesamten Organismus haben?

Matthias Borkmann: Nach heutigem Forschungsstand kann es als erwiesen angesehen werden, dass eine Parodontitis die allgemeine Gesundheit beeinträchtigen, die Anfälligkeit für bestimmte systemische Er-krankungen erhöhen und deren Verlauf ungünstig beeinflussen kann. Es gibt gesicherte Erkenntnisse, dass das Risiko bei bestehender Parodontitis für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, welche durch arteriosklerotische Veränderungen ausgelöst werden wie z. B. Herzinfarkte, deutlich erhöht ist. Dies gilt auch für Schlaganfälle (Apoplex), Erkrankungen des Respirationstraktes (COPD, Lungenentzündung), Nierenerkrankungen, entzündlich rheumatische Erkrankungen. Darüber hinaus kann der Langzeitblutzuckerwert (HbA1c-Wert) bei Diabetikern sowie die Frühgeburtenrate bei Schwangeren und das Geburtsgewicht der Neugeborenen ungünstig beeinflusst werden.

Welche Therapiemöglichkeiten kennt die Zahnmedizin?

Matthias Borkmann: Entsprechend dem momentanen Kenntnisstand ist die Entfernung (Desintegration) der Plaque (bakteriellen Biofilms) zur Zeit die effektivste Methode zur Prävention und Therapie der Gingivitis und Parodontitis. Die systematische Parodontaltherapie besteht aus mehreren Vorbehandlungen (Motivation des Patienten zur adäquaten Mundhygiene und Vorbereitung der Belagsentfernung unterhalb des Zahnfleisches), der Säuberung der Zahnfleischtaschen mittels Handinstrumenten oder (Ultra-)-Schallinstrumenten, der Reevaluation (Kontrolle des Behandlungserfolges) und ggfs. einer daraus resultierenden weiteren chirurgischen Therapie. Da es sich um eine chronische Infektion handelt, bedarf der Patient einer lebenslangen Nachsorge (unterstützende Parodontitistherapie (UPT), die immer eine professionelle Zahnreinigung (PZR) beinhaltet). Entscheidender Faktor für den dauerhaften Erfolg der Therapie ist die Mitarbeit (Compliance) des Patienten. Die Persönliche Verhaltensänderung wie eine gute Mundhygiene und den Verzicht auf Tabakkonsum sowie die regelmäßige Nachsorge (2 - 4 mal jährlich, je nach Schweregrad der Erkrankung) sind hierfür zwingend notwendig.

Welche persönlichen mundhygienischen Maßnahmen dienen der Prophylaxe einer Gingivitis bzw. Parodontitis?

Matthias Borkmann: Die Reinigung der Zähne mit Zahnbürste und Zahnpasta allein ist nicht ausreichend. Auch die Zahnzwischenräume müssen täglich mit geeigneten Mitteln (Zahnseide, Zahnzwischenraumbürstchen) gereinigt werden. Da viele Menschen nicht in der Lage sind, eine ausreichend gute Zahnputztechnik anzuwenden, empfehlen wir die Anwendung von elektrischen Zahnbürsten. Zu einer guten Mundhygiene gehört heute außerdem auch die Zungenreinigung. Die Oberfläche der Zunge ist das größte Bakterienreservoir der Mundhöhle und aus diesem Grund nicht nur eine Hauptquelle von Mundgeruch, sondern auch mit anderen Erkrankungen mikrobiologischer Ursache wie Parodontitis, Periimplantitis und Karies assoziiert. Darüber hinaus sollte nicht nur der alljährliche Check-up der Zähne beim Zahnarzt selbstverständlich sein, sondern auch eine regelmäßige von Fachpersonal (ZMP, DH) durchgeführte professionelle Zahnreinigung (PZR) erfolgen.

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