Blickpunkt der Woche: Bedingungen für ausländische Arbeitnehmer
Der Politik fehlt der nötige Mut gegenüber der Fleischindustrie
Die Fleischbranche steht nach dem Bekanntwerden der weit über 200 mit dem Corona-Virus infizierten Mitarbeiter auf dem Coesfelder Westfleisch-Gelände in der Kritik. Auch in Schöppingen hat es über 30 Corona-Fälle bei einem Subunternehmen auf dem Tummel-Gelände gegeben. Doch ist diese, häufig pauschalisierte Kritik, so gerechtfertigt? Es lohnt sich, einmal etwas genauer hinzuschauen.
Es ist ein offenes Geheimnis, unter welch oft beengten Verhältnissen die Arbeiter von vielen Subunternehmern leben. Manche nennen das auch hausen. Dazu kommt die schwere körperliche Arbeit. Der katholische Sozialpfarrer Peter Kossen spricht gar von Sklaverei.
Rumänen unterstützen ihre Familien in der Heimat
Waren es früher überwiegend Polen, die dort arbeiteten, sind es jetzt Rumänen. Der Grund ist einfach: Sie sind billiger. Viele Rumänen schicken einen Teil des Lohns ihren Familien in die Heimat. Statt zu Hause arbeitslos herumzusitzen, können sie so ihre Familien ernähren. Dafür nehmen sie sehr viel in Kauf.
Doch wer trägt an der Situation die Schuld? Der Schlachthof? Der Zerlegebetrieb? Der Subunternehmer? Für mich sind zwei andere Gruppen viel entscheidender. Doch der Reihe nach.
Ohne die billigen ausländischen Arbeitskräfte funktionierte das ganze Billigfleisch-System in Deutschland nicht. Schlachthof und Zerlegebetrieb spielen das Spiel mit Subunternehmen und Werksverträgen aus Wettbewerbsgründen mit. Würde die Zerlegung durch höhere Personalkosten teurer, hätten sie einen klaren Wettbewerbsnachteil. Hier (als einzelner Betrieb) aus dem deutschlandweiten Billigfleisch-System auszuscheren und neue, für die Arbeiter bessere Wege zu beschreiten, wäre ein Vabanque-Spiel. Da ist es sicherer, wie bisher weiterzumachen. Dann heißt es, beide Augen ganz fest zu verschließen und die Verhältnisse hinzunehmen.
Schwarze Schafe bei Subunternehmen
Die Probleme treten in der Regel bei den Subunternehmen auf. Unter ihnen gibt es schwarze Schafe, die die wirtschaftlich katastrophale Zwangslage der Arbeiter schamlos ausnutzen. Die Arbeiter können sich – in einem fremden Land und häufig ohne Sprachkenntnisse – nicht wehren, sind aber auf das Geld angewiesen.
Diese Situation ist allen Beteiligten in Politik und Wirtschaft seit Jahren bekannt. Hat es zuletzt durchschlagende Veränderungen und Verbesserungen gegeben? Nein! Kann es ja auch bei unserem Billigfleisch-System nicht. Irgendeiner zahlt immer die Zeche. In diesem Fall sind es die ausländischen Arbeiter.
Verbesserten sich die Arbeits- und Wohnbedingungen, führte das zu höheren Kosten, was sich natürlich auf die Fleischpreise niederschlüge. Und das hätte offensichtlich aus Sicht von Politik und Wirtschaft negative Folgen.
Bauern setzen auf Export-Wachstum
Während der Fleischkonsum in Deutschland eher rückläufig ist, verharrt der Export auf einem hohen Niveau oder wächst in einigen Bereichen weiter. Höhere Preise bedeuteten einen schwächeren Export und wohl auch weiter zurückgehende Verkaufsmengen in Deutschland – und somit Einnahmeverluste.
Auch viele Bauern haben in den vergangenen Jahren auf immer größere Viehbestände und Export-Wachstum gesetzt. Das ist ihnen ja auch von den eigenen Verbänden ständig eingeimpft worden. Wachse oder weiche lautete das Motto. Große Betriebe freuen besonders die Agrarindustrie, die durch den Verkauf großer Maschinen und mehr Dünger und Futtermittel profitiert. Die Bauern sind allerdings nicht aus der Verantwortung zu nehmen, da sie als Selbstständige eigenverantwortlich den Weg mitgegangen sind.
Handelsketten üben Druck aus
Ebenfalls nicht aus der Verantwortung zu nehmen, sind die großen Handelsketten. Mit ihrer Marktmacht verstärken sie den Druck auf die Produzenten. Zudem fördert die Politik durch Subventionen, die sich hauptsächlich an Betriebsgröße und nicht an Nachhaltigkeit orientieren, ganz bewusst vor allem die großen Unternehmen und weniger den Landwirt mit lediglich ein paar Hektar Eigenland. Dies sind nur zwei weitere Punkte, die die komplexe Gemengelage des Themas verdeutlichen sollen.
Einfach jetzt weniger Fleisch zu erzeugen, ohne für das Weniger mehr Geld zu erhalten, können sich viele Bauern, die oft hohe Investitionen in Ställe und Maschinen tätigten, gar nicht leisten. Das Rad lässt sich nicht einfach zurückdrehen. Schließlich wollen die Banken ihr Geld zurück – und an den Zinsen verdienen.
Gewaltige Mammutaufgabe
Also muss das Spiel weitergehen, wenn man keinen grundlegenden Systemwechsel möchte. Ein solcher Systemwechsel wäre eine gewaltige Mammutaufgabe, weil viele Rädchen ineinander greifen. Eine simple Lösung gibt es nicht. Es gäbe auch viele Verlierer. Und das könnte Wählerstimmen kosten. Das Eisen ist der Politik wohl zu heiß. Menschlich kann ich das nachvollziehen, doch das Aussitzen ist keine Lösung.
Ich kann es leider nicht ernstnehmen, wenn NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), ankündigt, eine Nulltoleranz-Politik gegen die Schlachthofbetreiber führen und „den Sumpf austrocknen“ zu wollen. Die Pandemie gebe der Politik jetzt die Möglichkeit dazu, so Laumann.
Die Politik hätte seit Jahren einschreiten können. Sie kann Gesetze ändern und neue fassen. Doch aus wirtschaftlichen Gründen ist das nicht geschehen. Die gesamte Massentier-Landwirtschaft hängt davon ab. Die Bauern müssten neue Perspektiven bekommen. Sollten Laumann und andere Politiker den Mut finden, endlich deutliche Verbesserungen für die Arbeitnehmer in die Wege zu leiten – und nicht nur an ein paar Schräubchen minimal zu drehen – ich wäre der Erste, der mit voller Hochachtung den Hut ziehen würde.
Die Jagd nach der Wählergunst
Ganz ruhig sollte jedoch die Opposition sein. „Profit auf Kosten der Gesundheit darf unsere Gesellschaft nicht länger hinnehmen“, hat jüngst Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion, schwadroniert. Die beiden stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast und Matthias Miersch, biederten sich der öffentlichen Meinung wie folgt wortgewaltig an: „Das Geschäftsmodell, bei dem sich Unternehmen mittels Subunternehmen aus der Affäre ziehen und Mitarbeiter unter fragwürdigen Bedingungen zusammenpferchen, gehört abgeschafft.“
Sie alle haben zwar recht, mehr als dem Hinterherhecheln nach der Wählergunst steckt aber nicht dahinter. Ich erinnere daran, dass Grüne und SPD sowohl im Bund als auch im Land gemeinsam regierten. Sie hatten genug Zeit, Dinge zu verbessern. Und?
Scheinheilige Verbraucher
Etwas subtiler verhält sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Sie schiebt den Schwarzen Peter ganz locker den Bürgern zu. Klöckner möchte eine Wahlfreiheit für die Verbraucher bei der Produktauswahl. Das Ergebnis kennt Julia Klöckner natürlich schon: Das Gros der Menschen greift zum billigen Lebensmittel – entweder weil das Geld fehlt oder dem Verbraucher es schlicht egal ist, wie seine Lebensmittel produziert werden. So steht Klöckner nach außen gut da, stützt aber das System.
Die allermeisten Verbraucher wollen am liebsten Biofleisch von super glücklichen Tieren von der Weide im Einkaufswagen liegen haben, sind aber nicht bereit, dafür mehr Geld auszugeben. Das ist scheinheilig. Deshalb sollten wir selbst in den Spiegel schauen und unser eigenes Verhalten hinterfragen. Dass sich dieses Verhalten (ohne gesetzliche Regelung) bald radikal ändern wird, erscheint mir äußerst unwahrscheinlich.
Umdenken erforderlich
Aber vielleicht gibt es bedingt durch die Corona-Pandemie in der Politik wirklich ein Umdenken und ich werde eines Besseren belehrt. Es würde mich – und sicherlich auch die ausländischen Arbeitnehmer – freuen.
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