Für Elisabeth Baudry gehört Pater Jestin Sam zur Familie
Deutsch-Unterricht für einen Pfarrer
Epe
Für die Glaubensvermittlung ist sprachliche Verständigung Voraussetzung. Doch was, wenn man als hier eingesetzter Geistlicher kein Deutsch spricht? Pater Jestin Sam aus Indien hatte Glück. Er bekam in Epe eine persönliche „Nachhilfe-Lehrerin“.
Der indische Gruß Namasté – man legt die Handinnenflächen vor dem Herzen zusammen und macht eine leichte Verbeugung – passt in die Coronazeit. Weil man einander nicht berührt. Pater Jestin Sam und Elisabeth Baudry heißen mich auf diese Art zu einem Gespräch willkommen. Zu einem Gespräch (nicht nur) über Sprache. Zu Beginn steuert Pater Jestin gleich ein aktuell passendes Wortspiel bei, das er aufgeschnappt hat: „Abstand ist der neue Anstand.“
Vor gut sechs Jahren, als Pater Jestin Sam aus der südindischen Provinz Kerbala nach Deutschland kam, hätte er so ein Wortspiel nicht verstanden geschweige denn anbringen können. Der Geistliche des Ordens der Nachfolge Christi (Bethany Ashram) konnte damals kaum ein Wort Deutsch. Seine Muttersprache ist Malayalam, eine von 22 Sprachen und 1600 Dialekten in Indien. Außerdem konnte er Hindi und Englisch. Doch er sollte ja in Epe an der Pfarrgemeinde St. Agatha als Priester wirken. Ohne Deutsch-Kenntnisse unmöglich. Wie hätte er mit den Menschen in Epe kommunizieren sollen? Wo doch der Austausch von Gedanken wesentlich ist für die Aufgabe eines Geistlichen.
Sprachkurs mit viel Grammatik
Nach einem zehnmonatigen Sprachkurs an der Akademie Klausenhof trat Jestin Sam seine Stelle in Epe an. „In Hamminkeln haben wir viel Grammatik gelernt“, sagt er. „Aber wir hatten wenig Gelegenheit zum Sprechen. Gespräche habe ich erst in Epe geübt."
Und da kommt Elisabeth Baudry ins Spiel. „Pfarrer Günter Lube hat mich damals gebeten, mich um Jestin zu kümmern. Dabei war ich gerade als Lehrerin pensioniert und wollte erst mal gar nichts mehr mit Unterricht zu tun haben. Aber nach einer Morgenmesse hat Pastor Lube mich gefragt, ob er mal vorbeikommen dürfe – und hat Jestin gleich mitgebracht.“
Aus diesem Besuch nach der Frauenmesse hat sich eine schöne Gewohnheit entwickelt. Regelmäßig frühstücken Pater Jestin und die Baudrys zusammen. Und sie übt mit ihm Deutsch.
Elisabeth Baudry kann auf entsprechende Erfahrungen zurückgreifen: „In den 70er-Jahren kamen 26 Flüchtlinge aus Vietnam nach Gronau. Auch ihnen habe ich Deutschunterricht gegeben. Das waren vielleicht fleißige Schüler!“, erinnert sie sich an die Menschen, die mit der Cap Anamur nach Deutschland gekommen waren.
Wie damals mit den Flüchtlingen liefen die ersten Gespräche auch mit Pater Jestin auf Englisch. Dann immer mehr auf Deutsch. Aber er sollte ja nicht nur die Liturgie feiern, sondern auch Predigen halten, Tauf- und Trauungsgespräche führen und mit Trauernden Beerdigungen vorbereiten. Da braucht man sprachliches Feingefühl.
Elisabeth Baudry
Das vermittelte Elisabeth Baudry – und sie lernte selbst auch dabei: „Ich bin immer wieder verblüfft, wie intensiv gläubig Jestin ist und wie er die Bibel versteht und lebt“, meint sie. „Er sagt immer, ,Das ganze Leben steht in der Bibel‘.“
Die Gedanken, die er in seiner Predigt vermitteln will „die sind da, der Inhalt ist da“, sagt Pater Jestin und zeigt auf seinen Kopf. „Aber die Sprache ist eben unterschiedlich.“ So gut er kann, schreibt er seine Predigt auf Deutsch. Dann geht er sie mit Elisabeth Baudry durch. „Und wenn ich etwas nicht verstehe, frage ich, was er meint“, sagt sie. Dann suchen sie gemeinsam nach Ausdrücken, die das Gemeinte treffen. Jedes Mal lernt Jestin Sam dazu. „Das gibt neuen Mut.“
Zum Gespräch mit den WN hat Pater Jestin das Alte und das Neue Testament gleich in drei Ausführungen mitgebracht: auf Malayalam mit seinen für westliche Augen exotisch anmutenden Schriftzeichen, auf Englisch und Deutsch. Die Bibel dient ihm somit als eine Art Stein von Rosette (mit dessen Hilfe die Hieroglyphen entziffert wurden): Auch wenn die Sprache sich unterscheiden – der Inhalt ist in allen drei Ausgaben derselbe.
Pater Jestin Sam
Ist das Abfassen einer Predigt mit all den sprachlichen Nuancen schon schwer – für Pater Jestin kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: die Aussprache. „Meine Zunge ist nicht umlautfreundlich“, scherzt er. „Der Unterschied zwischen schon und schön – das ist für mich sehr schwierig.“ Auch die Intonation, die Betonung von Silben, sind eine Herausforderung. Das Malayalam hat eine ganz andere Wortmelodie. Dass das Wort „Auferstehung“ auf der ersten Silbe betont wird, muss er sich immer wieder vergegenwärtigen. „Die richtige Aussprache ist wichtig, wenn die Zuhörer ihn verstehen sollen,“ sagt Elisabeth Baudry.
Der Privatunterricht zeitigt durchaus Erfolge. Mittlerweile schafft es Pater Jestin sogar, Festgemeinden zu Hochzeiten und Ehejubiläen zum Lachen zu bringen. Weil seine Predigten Humor und Witz haben. Und weil sie auf individuelle Umstände eingehen. Zum Beispiel, wenn die Tochter eines Silberhochzeitspaars im Vorgespräch eine witzige Bemerkung über ihre Eltern gemacht hat – und er diese Bemerkung in seine Predigt einfließen lässt.
Predigten mit Humor und Witz
Herausfordernd sind Sprachwendungen und auch die unterschiedlichen Bilderwelten, die mit der Sprache ausgedrückt werden. Pater Jestin brachte viele Erfahrungen aus Indien mit, trägt seine indische Kultur in sich. Auch davon vermittelt er manchmal etwas in seinen Predigten.
Das schürte das Interesse in Epe an seinem Herkunftsland. Mit dem Ergebnis, dass 50 Mitglieder der Pfarrgemeinde im vergangenen Herbst Indien besuchten. Elisabeth Baudry war auch dabei. „Diese Fröhlichkeit, die dort herrscht! Und die Gastfreundschaft!“, ist sie noch heute schwer beeindruckt.
Für die Baudrys gehört Pater Jestin mittlerweile zur Familie. Und für ihn ist Epe schon eine zweite Heimat geworden. „Ich habe wirklich fast nur positive Erfahrungen hier gemacht“ sagt er. Nicht nur als Präses der Kolpingsfamilie oder beim Kloster-Schützenverein – der ihm sogar einen Schützenhut geschenkt hat. Die Offenheit der Eperaner gefällt ihm. „Und dass ich meinen Blick auf die Welt einbringen kann.“
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