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Ludwig geht nach Afrika

Coesfeld. Es schneit. Die meisten vom Brink, die ihn kennen, nennen ihn beim Vornamen: Ludwig; und Ludwig richtet gerade seinen Planwagen her. Er will weg. Nach Afrika. Senegal. Weiter nach acht Jahren. Oder Aufbruch. Das Gestell hat er bekommen, den Rest baut er aus Ästen und Planen auf. Heute will er starten, mit seinem Pferd, dem Planwagen und den drei Hunden: Sam...

Von Viola ter Horst

Coesfeld. Es schneit. Die meisten vom Brink, die ihn kennen, nennen ihn beim Vornamen: Ludwig; und Ludwig richtet gerade seinen Planwagen her. Er will weg. Nach Afrika. Senegal. Weiter nach acht Jahren. Oder Aufbruch. Das Gestell hat er bekommen, den Rest baut er aus Ästen und Planen auf. Heute will er starten, mit seinem Pferd, dem Planwagen und den drei Hunden: Sam, Teddy und Nelly. Er lebte acht Jahre hier. Hier, hinter der Gärtnerei Steinkamp, zwischen Tannen. Ein Platz in einem Wäldchen. Ein kleines Zwei-Mann-Zelt aus Stoff, abgedeckt mit Planen, eine Feuerstelle und ein zweites Zelt, in dem der Bildhauer immer schnitzte. Ein Einsiedlerleben. "Aber ich bin kein Aussteiger", sagt Ludwig Schumacher. "Ich habe dieses Leben nicht gewählt, weil ich alles schlecht fand. Ich sehe mich als Einsteiger, nicht als Aussteiger." Ein Einsteiger in ein Leben mit der Natur, ein Einsteiger in ein einfaches Leben, nur mit dem, was man wirklich benötigt. Nichts für manche, alles für ihn. Freiheit, vielleicht. Sie ist nicht einfach. Jetzt ist sie verdammt kalt. Aber Ludwig sagt, im Zelt sei es warm, auch ohne Heizung. Er friert nicht.

Ludwig Schumacher. 65 Jahre. 1944 in Jugoslawien geboren. Im Schwabenland aufgewachsen. In München Bildhauerei studiert. Mit 35 losgegangen. "Der Anlass war eine Befürchtung", berichtet er: "Dass die Menschen in Gefahr sind, wenn es so weiter geht." Übermäßiger Konsum, unverantwortliches Handeln - er wollte ein Zeichen setzen. Mit der Natur leben, nicht gegen sie.

Und ein künstlerischer Anlass: Unter der Überschrift "Weltumspannender Friedenszyklus" machte sich Ludwig Schumacher auf, um alle Kontinente zu besuchen und dort Skulpturen zu fertigen. Jede mit einem christlichen Thema. "Ich bin gläubig, ich verstehe die Botschaft vielleicht nur anders als Andere", sagt er. Jetzt fehlen noch zwei Kontinente: Afrika und Asien.

Den Ludwig kennen sie hier auf dem Brink. Es kamen oft Kinder vorbei, so wie Theresa, die gerade Santosch, das Pferd, herumführt. Oder der 12-jährige Dominik. "Wir zelteten hier auch manchmal", erzählt er. Sie sind traurig, dass er weggeht, ihr Ludwig. Sie saßen oft an der Feuerstelle zusammen. Tranken Kakao. Sahen beim Schnitzen zu. "Wir lernten, wie man Hütten ohne Nägel baut", erzählt Dominik. Oder wie man Feuer macht. Wie man einfach lebt.

Zehn Jahre war Ludwig Schumachers Platz eine Lehmhütte in Bremen. Er ging zu Fuß, mit einem Handkarren oder kutschierte mit einem Planwagen durch Europa, Russland, Nordamerika, Südamerika. Lebte bei Indios und Eskimos. "Als ich anfangs losging, kalkulierte ich fünf Mark pro Tag ein", erzählt er. "Ich bemerkte schnell, dass man so viel gar nicht benötigt." Er lernte viel von Anderen, wie sie mit der Natur lebten. Dann eine große Schaffenspause, eine Krise.

Eine Frau stapft durch den Schnee herbei: "Ludwig, ich will mich verabschieden." Bevor er hier landete, war er für ein viertel Jahr in Billerbeck, arbeitete dort. "Ich fragte, ob ich für ein paar Tage hinter der Gärtnerei bleiben durfte", erzählt Ludwig Schumacher von den Anfängen auf dem Brink. Es wurden acht Jahre daraus. Die große aus einem Baum geschnitzte Skultur auf dem Hof von Steinkamp ist von ihm.

Ein "Nebenwerk", wie er sagt. Genauso wie seine Restaurationen oder anderen Arbeiten. Denn sein Hauptwerk ist ein riesiger Leuchter aus Holz geschnitzt - daran arbeitete er die ganzen acht Jahre, die er hier war. Jetzt geht das Werk nach Billerbeck. Er verkaufte es nicht. Er sagt immer: "ich überlasse sie". Die Arbeiten erfahren eine größere Wertschätzung als wenn man sie verkauft, findet er. Auch ethisch. Man verhandelt nicht. Man überlässt sie.

Es schneit, aber ihm ist nicht kalt. Einen Großteil der Kleidung, die er trägt, hat er selber genäht. Benutzte Schafwolldecken. "Selbst Expeditionskleidung ist nicht so gut", sagt er.

Heute vor 30 Jahren war sein großer Aufbruch. Es war der 2. Februar, so wie heute - der Tag, an dem er weiter will. Nach Afrika. "Ich bin in Coesfeld gefordert und gefördert worden", sagt er. "Jetzt ist es an der Zeit, aufzubrechen."

Trotz der vielen Jahre gehe er nicht mit dem Bewusstsein, schon alles zu wissen, sagt Schumacher. "Mir sind Sätze wichtig wie: ,Der Weg ist das Ziel´ oder ,Ich weiß, dass ich nichts weiß´", sagt er. In diesem Bewusstsein gehe er. Er will über Holland und Frankreich kutschieren, dann mit dem Schiff weiter. Das Thema für seine neue Skulptur in Afrika: "Die Geburt". "Ich weiß noch nicht, wie lange ich benötige", sagt er. "Das Thema ist sehr schwierig."

Ludwig Schumacher schrieb während seiner 30-jährigen Wanderschaft Tagebuch. 14.000 Seiten. Die Geschichte von einem, der auszog, um mit der Natur zu leben, eine Botschaft im Kopf, der Spuren mit Skulpturen setzte, ein Lebenswerk. Er lässt das Tagebuch in Coesfeld. "Ich habe es ins Stadtarchiv gegeben, und jeder, der sich für weitere Hintergründe interessiert, kann darin lesen", sagt er. Zunächst sollen die Blätter im Stadtarchiv jedoch noch restauriert werden.

Afrika ist der vorletzte Kontinent. Danach soll es irgendwann nach Asien gehen. Die letzte Skulptur schnitzen. Das Thema steht bereits fest: "Die Wiedergeburt".

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