Interview mit Arye Shalicar
Der Mossad und das Geheimnis eines erfolgreichen Geheimdienstes
Münster
Demokratie bedingt Offenheit, doch es gibt auch eine Art Schattenwelt, um sie vor ihren Feinden schützen zu können. Ein großes Spannungsfeld. Der israelische Mossad gilt als einer der erfolgreichsten Geheimdienste – was ist sein Geheimnis? Ein Gespräch mit dem Politologen, Buchautor und ehemaligen israelischen Armeesprecher Arye Shalicar.
Was ist das Geheimnis eines gut arbeitenden Geheimdienstes?
Shalicar: Ich glaube in erster Linie gute „Manpower“, also gute Männer und Frauen, die mitarbeiten. Da gibt es in Israel natürlich auch einen großen Bezug zur Armee mit ihrer Wehrpflicht. Wenn man nur auf Leute setzen kann, die einfach einen guten Job suchen, ist das die eine Sache. Ich denke, es ist auch wichtig, dass die Mitarbeiter an eine gemeinsame Idee glauben, an eine wirkliche Mission. Dann misst man der eigenen Aufgabe eine größere Bedeutung bei und sie hat natürlich einen höheren Status.
Neuer kalter Krieg
Für den Mossad war die Mission ja klar: Israel hat seinen Auslandsgeheimdienst gegründet, um einen zweiten Holocaust zu verhindern, Juden aus Krisenländern zu retten und sich gegen die Feinde rundum zu verteidigen. Ist also die Aufgabe ganz einfach existenzieller und größer?
Shalicar: Sie ist existenzieller und unmittelbarer, aber auch in anderen Ländern gibt es sehr gute Geheimdienste mit viel weltumspannenderen Aufgaben. Denken wir daran, dass es einen neuen Kalten Krieg gibt mit China und Russland, die sehr aktiv ihren internationalen Einfluss vergrößern wollen. Dabei geht es um neue Vorherrschaft in vielen Regionen und die Ablösung der USA. Die Vereinigten Staaten setzen ja zuallererst auf einen exklusiven Club für den Austausch von Erkenntnissen, zu dem Israel übrigens nicht gehört: die „Five Eyes“. Zum Club der „fünf Augen“ gehören neben den USA Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Vielleicht spricht man nur einfach mehr über den israelischen Geheimdienst – gerade auch in Deutschland.
Was ist aber das Erfolgsgeheimnis?
Shalicar: Der israelische Geheimdienst ist nicht unbedingt der größte. Aber er ist sehr gut informiert, denn es gibt eine große Gruppe von Menschen in der ganzen Welt, die ihn unterstützen. Freiwillige sozusagen. Sie sehen einen Sinn darin, dem jüdischen Volk in seiner bedrohten Lage zu helfen.
Nur der harte Kern
Besteht die Gefahr, dass diese vielen Helfer Geheimnisse ausplaudern?
Shalicar: Viele Informationen sind ja nicht wirklich geheim. Vieles ist auf der Straße zu hören oder im Netz recherchierbar, einfach Insiderwissen aus erster Hand. Doch wenn es an ein wirkliches Geheimnis geht, also Top-Secret-Sachen, dann weiß beim Mossad ganz bestimmt nur der harte Kern, was passiert.
Wenn man heute an einen Spion denkt, stellt man sich nicht mehr einen mysteriösen Mann im Trenchcoat oder eine Art James Bond vor, sondern eher einen blassen Computer-Nerd im Kapuzenpullover, der die ganze Nacht vor dem Laptop arbeitet.
Shalicar: Ja, die Aufgabe hat sich geändert. Die technologische Dimension spielt eine große Rolle. Hier ist Israel sicher auch gut aufgestellt. Doch meiner Meinung nach kommt es auf ein Zusammenwirken von ganz verschiedenen Menschen an. Als ich zum ersten Mal israelische Marine-Elitesoldaten kennengelernt habe, kamen sie nicht wie kraftstrotzende Kämpfer herüber, sondern wie nette Jungs aus der Nachbarschaft. Ich denke, es kommt auf Qualitäten wie Ausdauer, psychologisches Geschick, Charakter, Verantwortung etc. an.
Eichmann in Argentinien gefasst
Die spektakulärste Aktion des Mossad bleibt ja wohl, den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann in Argentinien vor 60 Jahren gefasst zu haben.
Shalicar: Der Prozess gegen Eichmann war psychologisch wichtig für Israel. Doch für die junge Generation ist inzwischen auch hier die Vergangenheit nicht mehr so prägend wie früher. Der Leiter der Mission, Rafael Eitan, ist übrigens vor einem Jahr gestorben.
Es ist ja wohl einfach, mit befreundeten Ländern geheimdienstlich zu kooperieren, aber wie gerät man in Kontakt mit Feinden, beispielsweise arabischen Nachbarländern?
Shalicar: Das ist eine komplizierte Frage. Meiner Meinung nach ist es das Wissen, dass es gemeinsame Gefahren und Interessen gibt. Zusammen mit sunnitischen Ländern sehen wir im Iran eine gemeinsame Bedrohung. Daraus können sich strategische Allianzen herausbilden.
Häufige Updates
Man hat den Eindruck, der Mossad wird etwas öffentlicher. So gibt es Filme wie „Inside Mossad“ und ehemalige Top-Leute erzählen über ihre Erlebnisse.
Shalicar: Das ist in der Tat eine Beobachtung. Ich persönlich finde es nicht gut, dauernd ein Update über die Aktionen und Akteure des Mossad zu erhalten. Ein Geheimdienst bleibt ein Geheimdienst.
Gerade meldeten israelische Medien, der Mossad habe entscheidende Hinweise für das Hisbollah-Verbot in Deutschland geliefert.
Shalicar: Ja, es ist vielleicht gut zu wissen, dass der Mossad im Kampf gegen den Terror auch in Deutschland hilft. Doch auch Deutschland hat sehr gute Geheimdienste.
Antisemitische Bilder
Wo Geheimnisse sind, wuchern auch Verschwörungstheorien. Über den Mossad gibt es ja jede Menge. Ist das manchmal nicht eine Form von Antisemitismus?
Shalicar: Ich glaube schon. Da kommen oft ganz alte antisemitische Bilder von einer Art Weltverschwörung und Ähnlichem heraus, die zum Teil auch gezielt gestreut werden.
Nie wieder Opfer
Gibt es in Israel eine kontroverse Debatte über die Rolle der Geheimdienste, ihre Kontrolle, verdeckte Operationen etc.?
Shalicar: Ja, aber ich finde, es ist eine andere Grundwahrnehmung als in Deutschland. In Deutschland gibt es nach der Erfahrung der Diktaturen, nach Gestapo und Stasi, das primäre Ziel, nie wieder Täter zu sein. In Israel ist dies anders. Man möchte nach der Erfahrung des Holocaust nie wieder Opfer sein. Dafür braucht man Armee und Mossad. Ohne sie hätten wir nicht überlebt.
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